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laudatio zum 90. geburtstag roland rainers in der wiener stadthalle:

27.4.2000

Sehr geehrte Festgäste!

Ein hoher Funkionär der Architektenkammer meinte anläßlich einer Diskussion im Parlament zum Thema Architektur, daß die Aufgabe des Architekten nicht darin bestünde zu missionieren, sondern er lediglich die gesellschaftlichen Verhältnisse zu interpretieren habe.
Ich hingegen meine, daß die Gesellschaft in besonderem Maße Positionen braucht, Architekten ebenso wie Bauherrn, Kulturträger, die experimentell-visionär an einer sozial gerechteren, lebenswerten und auch spannenderen Zukunft arbeiten.
Roland Rainer hat diese Position auf Seite der Architekten weit über ein halbes Jahrhundert lang ausgefüllt.
Aus den Wurzeln des Funktionalismus und des anonymen Bauens entwickelte er jene radikal soziale Baupraxis, die oft selbst sozialistischen Auftraggebern zuwenig Huldigung der individualistischen Geltungssucht bedeutet hat.
Rainer zog es vor, Kommerz und Repräsentation zu verschmähen und konsequent und antiheroisch an einem an den elementaren Lebensbedürfnissen ausgerichteten Gesamtkonzept zu arbeiten.
Den normierenden Kräften stellt er Identität und ideelle Werte entgegen - darin dürfte auch das Geheimnis seiner Jugend liegen.
Mit Loos und Frank hatte er als Student in den dreissiger Jahren persönlichen Kontakt, die rostfreien, weissen Helden Le Corbusier und Mies, die holländische Stijlbewegung mit Mondrian, Rietveldt, Oud und Duiker, sowie Frank Lloyd Wright, Neutra und Schindler begleiten Rainer bis heute.
Er konnte ab 1937, also siebenundzwanzigjährig, an der Deutschen Akademie für Städtebau, zusammen mit Göderitz und Hofmann, aufbauend auf der Gartenstadtidee von Ebenezer Howard, an jenen Studien über Wohnungswesen arbeiten, die fast zwanzig Jahre später, 1957, als "Die gegliederte und aufgelockerte Stadt" publiziert wurden.
Rainer hat damit alle ökologischen Gedanken des Wohnens vorweggenommen, in einer Zeit, als es den heutigen Ökologiebegriff noch gar nicht gab.
"Die Behausungsfrage", 1947, "Ebenerdige Wohnhäuser" und Städtebauliche Prosa, 1948, waren Grundlagen für die Anfang der sechziger Jahre neuerlich aufkommende, europaweite Suche nach zukunftsorientierten Alternativen zum status quo im Städtebau.
Roland Rainer hat in dieser Zeit mit der Mehrzweckhalle nicht nur einen neuen Bautyp entwickelt und ihm in Wien, Bremen und Ludwigshafen Form gegeben. Er hat 1961, als Stadtplaner von Wien, innerhalb von drei Jahren das Planungskonzept Wien vorgelegt und damit die Weichen für die weitere Stadtentwicklung gestellt.
Mit der terrassierten Flachbausiedlung in der Wiener Mauerberggasse, hat er ein Beispiel bisher unerreichter Wohnqualität umsetzten können.
Gleichzeitig hat er als Leiter einer Meisterklasse für Architektur, Rektor an der Akademie der Bildenden Künste und Mitglied des Österreichischen Kunstsenats das kulturelle Leben der Stadt und des Landes maßgeblich beeinflusst.
Die Entwicklung der Urteilsfähigkeit durch die Vermittlung einer ganzheitlichen, d.h. kulturellen, ökologischen und biologischen Sicht, zusammen mit der Aufforderung zum Widerstand - wie Rainer seinen Beitrag zur Architektenausbildung auch sieht, war eine riskante Lehrpraxis, denn sie schloss mit ein, daß sie selbst hinterfragt wird.
Roland Rainer ist dieses Risiko eingegangen.
1970, im zuge europaweiter gesellschaftlicher Umwälzungen wurde er und das Meisterschulprinzip radikal in Frage gestellt.
Die Studenten forderten unter anderem
die Auflösung des Meisterschulsystems,
die Öffnung und Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen und Schulen,
die Öffnung zur Öffentlichkeit.
Forderungen, die dreissig Jahre später einer der ersten Schüler Roland Rainers, Carl Pruscha als Rektor der Akademie weitgehend umsetzen konnte.
An der Siedlung Puchenau I, 1967 fertiggestellt, entzündete sich die Kritik an der Gartenstadtidee.
Stadtfeindlichkeit, die strenge Hierarchisierung von Privatheit und Öffentlichkeit und die autoritäre Ästhetik der Moderne etwa, waren die Vorwürfe.
Die, durch spätere Untersuchungen festgestellte hohe Akzeptanz der Gartenstadt Puchenau durch seine Bewohner widerlegte die Kritiker.
Puchenau ist heute ein Meilenstein im europäischen Städtebau des 20. Jhdts.
Nachdem er seine wichtigen Bauten 1975 fertiggestellt hat, das ORF Zentrum am Küniglberg und das Stadthallenbad, schreibt Roland Rainer mit seinen Büchern
"Für eine lebensgerechte Stadt",
"Die Welt als Garten, China",
"Anonymes Bauen im Iran",
"Kriterien der wohnlichen Stadt",
gegen den damals herrschenden rückwärtsgewandten und zukunftsfeindlichen Zeitgeist an, der sich 1989, mit dem Fall der Berliner Mauer, aufzulösen begann.
Die Stadt Wien beendet die Ausgrenzung Roland Rainers und beauftragt ihn mit der Planung von Siedlungen und städtebaulichen Gutachten.
Eine jüngere Architektengeneration entdeckt ihn wieder.
Auch der Zusammenhang von Wählerverhalten und Wohnzufriedenheit wurde wiederentdeckt: Eine ständig wirksame Komponente der Lebenszufriedenheit ist die Wohnsituation. Defizite führen zur Flucht ins Umland und zu den Protestparteien.
Wohl in Kenntnis dieser Tatsachen fasste der damalige Bundeskanzler Viktor Klima 1998 in seinem Aufsatz
"Humanes Wohnen als erklärtes Ziel" jene Forderungen zusammen, die bereits seit den zwanziger Jahren und später vor allem durch Roland Rainer immer wieder erhoben werden.
Am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts kündigt sich, nach über dreissig Jahren, ein neuerlicher Schub in Richtung Demokratisierung und Ökologisierung des Städtebaus an. Der Erforschung und Entwicklung von neuen urbanen, demokratischen Wohnformen wird höchste Priorität zukommen.
Eine vor kurzem durchgeführte repräsentative Bewohnerbefragung von öffentlich geförderten Wohnanlagen und Siedlungen in Wien hat ergeben:
Hohe Wohnzufriedenheit ist ein Minderheitenprogramm!
Sie, sehr geehrter Herr Stadtrat für Planung und Zukunft, haben aus diesem Anlass erklärt, Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung auf diesen Gebieten setzen zu wollen.
Ein Paradigmenwechsel scheint sich auch bezüglich der Bauweisen zu vollziehen, wenn Wohnbaustadtrat Werner Faymann erklärt, der neue Wiener Wohnbau solle aus leichten, lichtdurchfluteten Wohnungen aus Stahl und Glas bestehen.
Eine Neudefinierung der Ziele der Wohnbauförderung durch den Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Häupl, könnte die Rahmenbedingungen für dieses Projekt schaffen.
Eines Projekts, dessen Wurzeln in jene Zeit zurückreichen, in die Roland Rainer vor neunzig Jahren hineingeboren wurde.

Wien, 27. April 2000

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