anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der
Kammer der Architekten und Ingenieurskonsulenten für Wien, Niederösterreich
und Burgenland, 1995
Wir haben einander vor über 20 Jahren
an der Akademie kennengelernt, Sie als Professor, Sozialreformer, Kämpfer
gegen Barbarei und Bevormundung, wir als Ihre Studenten. Vor 10 Jahren hatten
wir die Möglichkeit, uns mit Ihrem Werk im Zuge unseres Filmportraits "Roland
Rainer" nochmals ausführlich auseinanderzusetzen.
Heute freuen wir
uns, Ihnen zu Ihrem 85sten Geburtstag gratulieren zu dürfen. Vor 20 Jahren
wurde die Gartenstadt Puchenau von manchen als "Rainer-KZ" bezeichnet,
und noch vor 10 Jahren hegten sie selbst Zweifel am Fortbestand der Moderne. Heute
jedoch gilt die Gartenstadt Puchenau als Meilenstein im europäischen Wohnbau.
Wir freuen uns darüber, dass die Zeit Ihnen recht gegeben hat.
Sie gelten
auch als ein früher Mentor des ökologischen Umdenkens, was sich unter
anderem in Ihrem Haus in Margarethen, einem zeitlos schönen Ort der Architektur,
manifestiert.
Zwar ist über Sie, geschätzer Herr
Professor, schon sehr viel gesagt worden, doch die Bedeutung Ihres Werks für
die österreichische Kultur ist sicherlich noch nicht voll erkannt.
Sie
gelten als der Taufpate der österreichischen Architektur nach dem Krieg;
aus den Wurzeln der Moderne und dem anonymen Bauen, direkt aus dem Leben, entwickelten
Sie eine radikale soziale Baupraxis. Form ist bei Ihnen nie Resultat eines im
Vordergrund stehenden Formwollens, sondern stets Ergebnis einer auf Totalität
gerichteten künstlerisch-sozialen Praxis.
Dies und Ihre konsequente Absage
an Prunk und Repräsentation mögen Gründe dafür sein, dass
Sie als ein Unbequemer gelten. Vor die Alternative gestellt, Star zu sein oder
nicht, zogen Sie es vor, Kommerz und Repräsenstation zu verschmähen,
um statt dessen einem Konzept treu zu bleiben, das an den elementaren Lebensbedürfnissen
ausgerichtet ist.
Diesem Konzept mit filmischen Mitteln Ausdruck zu verleihen,
ist die Intention unseres Portraits "Roland Rainer", das wir in Kürze
sehen werden.