Meisterschule Roland Rainer
Rückblick eines Absolventen
Sehr geehrte
Damen und Herren, liebe Freunde und Kollegen,
lieber Roland Rainer,
wir blicken nun gemeinsam ins Jahr 1970 zurück in eine Zeit, in der radikale gesellschaftliche Veränderungen europaweit von der Studentenbewegung eingeleitet wurden.
Gefordert wurde unter anderem :
- Auflösung
des Meisterschulsystems zugunsten eines Departmentsystems
mit verschiedenen
Leitern
- Öffnung und Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen und Schulen
-
Öffnung zur Öffentlichkeit
Also Forderungen, die jetzt, fast dreissig Jahre später Carl Pruscha als Rektor dieses Hauses weitgehend umsetzen konnte.
Der Wohnbau und somit der Städtebau war das zentrale Thema in der Meisterschule und oft Gegenstand hart geführter Auseinandersetzungen .
Die Gartenstadt Puchenau wurde von
Studenten damals noch als
Rainer KZ bezeichnet und als untaugliches Modell
abgelehnt.
Heute gilt Puchenau als Meilenstein im europäischen Wohnbau.
Die Entwicklung der Urteilsfähigkeit durch die Vermittlung
einer ganzheitlichen d.h. ökologischen kulturellen und biologischen Sicht,
zusammen mit der Aufforderung zum Ungehorsam - wie Roland Rainer seinen Buchbeitrag
zum Thema Architektenausbildung betitelt , war eine riskante Lehrpraxis, denn
sie schloss mit ein, daß sie selbst hinterfragt wurde.
Roland Rainer
ist dieses Risiko zugunsten einer lebendigen und spannenden Meisterschule eingegangen.
Das ist ihm hoch anzurechnen, denn er hätte es sich auch bequemer machen
können.
Er hat gelehrt und vorgelebt, daß die Aufgabe
des Architekten nicht primär darin besteht, kommerzielle und technokratische
Interessen in effektvolle Hüllen zu verpacken.
Form war bei Roland Rainer
nie ein im Vordergrund stehendes Architekturwollen, sondern stets das Ergebnis
der Überlagerung komplexer Zusammenhänge.
Er hat vielmehr durch
seine auf Totalität ausgerichtete künstlerische und soziale Lebenspraxis
ein erweitertes Berufsbild vermittelt, in dem der Architekt als Gestalter und
Mitgestalter unseres Lebensraumes eine zentrale Rolle in der Gesellschaft einnimmt.
Eigenverantwortlichkeit und damit auch die Verantwortung des Architekten gegenüber
der Gesellschaft und den nachfolgenden Generationen standen stets im Vordergrund
seiner Lehrpraxis.
Heute, in einer Zeit, da Architekten und
Künstler eine erbärmliche Rolle spielen, nicht nur durch das Verschulden
einer repressiven Politik, sondern auch durch einen Berufstand, der sich mit seiner
Unterdrückung ganz gut zurecht findet, gewinnt die Aufforderung zum Ungehorsam
erneut an Bedeutung :
das jährliche Budget für den Bundeshochbau
beträgt ca. 7 Milliarden Schilling.
Hervorragende Leistungen sind daraus
in der Vergangenheit, gemessen am Volumen, kaum zu verzeichnen. Sie waren offenbar
auch nicht erwünscht.
Und wenn man im Entwurf des Weißbuchs
zur Reform der Kulturpolitik nachlesen muß, daß als Maßnahme
zur Förderung von Architektur lediglich der Bau eines Hauses für Architektur
geplant ist, wird das Versagen der staatlichen Kulturpolitik offenkundig.
Es ist völlig unverständlich , daß sich die Gesellschaft einerseits
ein so elitäres Ausbildungssystem wie das der Kunsthochschulen leistet und
andererseits in äusserst geringem Umfang auf das so generierte Potential
zurückgreift.
1998